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Aus: Mundartenwörterbücher. Ein Beitrag zum hundertfünfzigjährigen Jubi- läum des Bremischen Wörterbuchs (Bremen 1767). – In: Stader Archiv N.F. 7 (1917), S. 10–20, hier: S. 17ff.:

"[…] Die hundertfünfzig Jahre, die seit der Vollendung des Bremischen Wörterbuchs verstrichen sind, haben uns die deutsche Philologie überhaupt erst geschenkt. In den letzten Jahrzehnten ist die Lexikographie mit der Verzeichnung des mundartlichen Materials in Mundartenwörterbüchern überaus tätig. In allen Gauen des deutschen Sprachgebietes sind solche teils fertiggestellt, teils im Werden, in der Schweiz wie im Elsaß, in Bayern und Österreich, in Württemberg, in Sachsen, in Thüringen. Ein hessisches, ein rheinisches, ein schleswig-holsteinisches, ein preußisches Wörterbuch werden vorbereitet, weiter wird der lüneburgische, der hamburgische, der brandenburgische, der schlesische Sprachschatz gebucht usw. Für ein neues Wörterbuch der Landschaften zwischen Weser- und Elbmündung, das sich also dem alten Bremischen eng anschließen wird, und dem das besondere Interesse des Vereins für Geschichte und Altertümer der Herzogtümer Bremen und Verden und des Landes Hadeln gilt, hat die Sammeltätigkeit schon im Sommer 1909 begonnen.

Welche Ansprüche stellen wir nun an ein modernes Wörterbuch? Diese werden freilich verschieden sein, je nachdem wir eine rein volkstümliche Aufzeichnung des Wortbesitzes für Freunde der Mundart oder ein vollständiges, auch den Forscher befriedigendes Wörterbuch planen. In beiden Fällen aber werden wir uns auf ein bestimmtes Gebiet, sei es eine Stadt, sei es ein kleinerer oder größerer Landesteil, beschränken, und innerhalb dieses Bezirks wird ein vollständiges Wörterbuch nun den gesamten Wortbestand, nicht bloß das Hervorstechende, 'Eigene' der Mundart aufsuchen. Von Anbeginn an ziehen wir den Kreis der Mitar- beiter so weit wie möglich; nicht wenige Männer steuern jetzt das Material bei, sondern über das ganze Gebiet versucht man zu einer möglichst großen Zahl von Gewährsmännern vorzudringen, versucht man, alle Schichten dafür zu interessieren, jeden, der die betreffende Mundart spricht und Freude daran hat, heranzuziehen, seine Kenntnis des Dialektes auszubeuten, bis das Material in Hundertausenden von Zetteln vorliegt mit Beiträgen aus allen Alters- und Gesellschaftsklassen, die sich gegnseitig ergänzen, vervollständigen, berichtigen. Lücken werden durch weitere systematische Nachfragen ausgefüllt, Ungenauigkeiten in derselben Weise klargestellt. Alle Abweichungen nach Form oder Aussprache oder sogar innerhalb der Sachbezeichnungen, die sich bei Sammlungen in einem größeren Gebiet stets ergeben werden, sind natürlich sorgfältig zu verzeichnen. Nur dann kann man das Gebiet sprachlich übersehen. Gerade diese Abweichungen sind für die Siedlungsgeschichte einer Landschaft von höchstem Wert. Neben die mündlichen Quellen treten die schriftlichen, die Werke lokaler Schriftsteller der Gegenwart, deren Wortvorrat auszuziehen ist. Ein vollständiges Wörterbuch wird jedes Wort in jeder Bedeutung zu buchen haben, auch Präpositionen, Konjunktionen usw. in ihrer verschiedenartigen Anwendung. Es wird sich bemühen, in seinen Stichwörtern die Sitten und Bräuche, Feste und Spiele, Glauben und Aberglauben, das gesamte Leben der Landschaft zu spiegeln, Verse, Volksreime, Sprichwörter und Redensarten, die an ein Stichwort anknüpfen, zu sammeln und so ein volles Kulturbild seines Gebietes zu geben. Für die Aufzeichnung des mundartlichen Materials ist die genaue Angabe der Aussprache in einem nicht zu verwickelten System zu fordern, ein Verlangen, das, wie wir sahen, in den Wörterbüchern des achtzehnten Jahrhunderts noch ungenügend erfüllt war. Die Dialekte sind organisch gewordene Gebilde, aus älteren Sprachzuständen entwickelt. Für die norddeutsche Sprachgruppe kommt vom 13. bis ins 16. und 17. Jahrhundert die mittelniederdeutsche Schriftsprache in Betracht. Und wenn diese auch eine mehr oder weniger über der gesprochenen stehende Form war und mit keiner Mundart ganz identisch, so ist sie doch auch nicht völlig von mundartlichen Elementen abgeschlossen, und der Wortschatz etwa Westfalens, verglichen mit unserer nordniedersächsischen Gegend, weist doch auch im Mittelniederdeutschen manche im Dialekt begründete Verschiedenheit auf. Als aber das Niederdeutsche aufhörte, die Schriftsprache des Nordens zu sein, als derjenige, der im 17. und 18. Jahrhundert schrieb, nicht mehr unter dem lebenden Zwang einer Sprachform stand, die auf dem ganzen großen niederdeutschen Gebiete verständlich sein sollte, sondern sich bei Anwendung des Niederdeutschen nur mehr an die Ortsgenossen wandte, begann das Plattdeutsche allmählich, sich von der Tradition auch im Schreiben etwas freier zu machen, die heimische Form auch schriftlich nach und nach etwas stärker zu betonen. Daneben entwickelt sich auch die gesprochene Sprache stets weiter, alte Begriffe vergehen, mit ihnen die Wörter, soweit sie nicht einen neuen Inhalt erhalten, neues dringt ein durch veränderte Lebensanschauungen und Lebensbedingungen, durch den Einfluß des hochdeutschen, das zur gehobenen Umgangssprache, zur Kirchen- und Schulsprache geworden war, durch fremde Mitbewohner, durch die mannigfachen Berührungen mit anderen Nationen. Solche Entwicklungen überblicken wir in den Texten seit dem 17. Jahrhundert, die den Übergang bilden von der mittelniederdeutschen Zeit zur Gegenwart, von der Schriftsprache zur Mundart, und sie sind natürlich für ein vollständiges Wörterbuch, das zugleich historisch sein will, ebenfalls heranzuziehen. Auch hier dürfen wir schon auf das Bremische Wörterbuch weisen, das in seinen Zitaten namentlich aus dem mecklenburgischen Satyriker Lauremberg Ansätze zur Beobachtung der Übergangszeit hat, nur daß wir diese älteren Belege heute dem eigenen Gebiet entnehmen würden. So rundet sich ein möglichst lückenloses Bild von der mittelniederdeutschen Periode über jene Übergangszeit zur Jetztzeit. Freilich, diese sprachgeschichtlichen Überblicke werden nur die in einem großen Stile angelegten wissenschaftlichen Wörterbücher durchführen können. Die andere Gruppe, die in einem höheren Grade der Allgemeinheit dienen will, wird sich von vornherein mit dem praktischen Ziel begnügen, den gegenwärtigen Wortschatz aufzuzeichnen, sei es im Sinne der alten Idiotiken mit stärkerer Berücksichtigung besonderer Bezeichnungen, Ausdrücke, Bräuche, Gewohnheiten, Redensarten, sei es in möglichster Vollständigkeit, aber ohne den Ballast historischer, vergleichender oder etymologisierender Beigaben, außer in besonders wichtigen oder interessanten Fällen oder wo Entlehnung vorliegt. Und diese für weitere Zwecke allein brauchbare Form des Wörterbuchs erscheint neben der ersten so wichtig, daß auch die wissenschaftlichen Wörterbuchunternehmungen z. T. eine zweite, auf den heutigen Wortschatz beschränkte kleinere Ausgabe planen, die durch den handlicheren Gebrauch den Interessen der Sammler, der Freunde der Mundart, der nicht philologischen Benutzer entgegenkommt.

Je mehr die Anwendung des Hochdeutschen vorschreitet, je mehr die Zahl derer abnimmt, für die plattdeutsch die Umgangssprache ist, je stärker die Berührung und gegenseitige Durchsetzung von Norden und Süden ist, je stärker das Neue überall auch in das entlegene Dorf dringt und die alten Gebräuche, Sitten, Geräte verdrängt, um so schwieriger wird die Aufzeichnung des vollen Sprachschatzes sein. Daraus erklärt es sich, daß überall Wörterbuchunternehmungen im Gange sind. Es gilt den mundartlichen Wortbestand aufzunehmen, ehe es zu spät ist."

Aus: Hugo Larsson: Lautstand der Mundart der Gemeinde Altengamme (in den Vierlanden bei Hamburg). Hamburg: Meissner 1917, Nachwort:

"Die Korrektur der vorliegenden Grammatik mußte der Zeitumstände wegen am Druckort im Deutschen Seminar in Hamburg gelesen werden. Dort ist auch das Wortverzeichnis zusammengestellt. Beim Lesen der Korrektur unterzog ich die Arbeit gleichzeitig einer Durchsicht auf Wunsch von Herrn Professor Dr. C. Borchling, Hamburg, der sie zur Aufnahme in die Veröffentlichungen der Hamburger Wissenschaftlichen Anstalten angenommen hatte.

Wenn nun auch einzelne Umstellungen oder Zusätze noch während der ersten Korrektur möglich waren, so war doch der für die Darstellung dieser nordniedersächsischen Mundart m. E.  nicht günstig gewählte Grundcharakter, die Ableitung des modernen altengammischen Lautschatzes aus der as. Grammatik, nicht mehr anzutasten. Unter dem Zwange, alles auf die westfälischen und Helianderformen des As. zurückzuführen, waren aber öftere Wiederholungen, manche Unklarheit und Ungeschicklichkeit der Darstellung unvermeidlich. Umgekehrt hätten sich die Erklärungen vieler Einzelheiten, zahlreicher Lautgesetze, die man jetzt z. T. entbehren wird, auf einer mittelniederdeutschen Grundlage oft mühelos ergeben, wäre die Übersichtlichkeit gefördert, während bei der gewählten Anordnung an Stelle einer Gruppe, deren Erkenntnis das Mittelniederdeutsche gestattet, vielfach die rein alphabetische Aufzeichnung der Wörter mit gleichem as. Vokal oder Konsonanten eintreten mußte.

Wenn ich mich auch nicht allen Etymologien und Ansätzen des Verfassers anschließe und z. B. seine Auffassung 'tonlanger Vokale' nicht teile, so habe ich doch nicht radikal eingreifen und namentlich alle Fälle, in denen er seine eigene Absicht besonders heraushebt, nicht anrühren wollen.

Die Bearbeitung der Mundarten des hamburgischen Landgebietes, wie sie durch Kloekes Arbeit über Finkenwärder in dieser Sammlung begonnen und in der vorliegenden Darstelllung mit einem anderen interessanten Teil des Hamburger Landes fortgesetzt wird, ist für die niederdeutsche Forschung außerordentlich wertvoll, und man wird dem Verfasser für seine sorgfältige Verzeichnung des Materials (z. T. in schwieriger Zeit), für die grammatische Erschließung eines Teils des landhamburgischen Sprachschatzes aufrichtig dankbar sein.

    Hamburg, 28. April 1917.

                                                                                   Dr. Agathe Lasch."

Aus: Hamburgische Heiratsbräuche im 17. Jahrhundert. – In: Niedersachsen 23 (1917/18), S. 161:

"Unter den vielen Schätzen, die die Hamburger Stadtbibliothek birgt, findet sich auch eine außerordentlich reiche Sammlung von Hamburger Gelegenheitsgedichten, Hochzeitsgedichten seit dem 16. Jahrhundert, meist in hochdeutscher, aber auch in plattdeutscher Sprache, auch wohl, wie es die Verbindungen Hamburgs mitbrachten, niederländisch oder, dem Zuge der Zeit folgend, französisch; wo der Bräutigam ein Gelehrter war, auch lateinisch, seltener griechisch oder hebräisch. Während die hochdeutschen Gelegenheitsgedichte des 17. Jahrhun- derts gern an die beliebten Dichtungsformen der Zeit anknüpfen – Hirtenge- spräche sind z. B. reich vertreten – greifen die niederdeutschen, stets scherzhaft gehaltenen, in das umgebende Leben und halten so manch interessantes Kulturbild fest. Aus den Einzelzügen, die wir diesen plattdeutschen Hochzeitsgedichten (1) entnehmen, setzt sich die folgende Schilderung alt-hamburgischer Heiratsbräuche zusammen. […] An den Vorbereitungen zur Aussteuer nehmen wieder alle weiblichen Familienmitglieder mit gutem Rat teil. Die neuesten Moden, die vorteilhafteste Art, sie zu beschaffen, wie man echte Besatzstücke durch unechte ersetzt, ohne daß jemand es merkt, alles wird besprochen. Die alten Weiberregeln werden nicht vergessen. An die unter den Hochzeitsbräuchen aller Länder verbreitete Abwehr feindlichen Zaubers gemahnt es uns, wenn man berät, 'wo se dat Brut-Bed könt mit sülcken Vordeel leggen un för de Tövery Abra Katabra seggen'. Verwandte wie Bediente, namentlich die alte Wärterin, wetteifern darin, 'de dumme Deeren uth der Practike' zu unterrichten. Aber auch der Bräutigam wird vorgenommen. Es gilt, ihn der Frau von vornherein gefügig zu machen. Man darf hinter anderen nicht zurückstehen, und hat jener kürzlich zur Hochzeit dies oder das angeschafft, so darf dieser nicht weniger tun, 'jy sünt jo woll wat meehr umb ju vör ehm to geven. - Wy sünt van andre Lüden, wo Düfel sol wy uns van ehnen laaten brüden!' Der Geldverleiher gibt ja gegen 8 Prozent her, was gebraucht wird. […] Die Trauung selbst soll im Hause stattfinden, das prächtig geschmückt ist. Schon äußerlich kennzeichnet sich das Hochzeitshaus: grüne Büsche, 'twe gröne Meybomsstrus' zieren es. Im Blumenschmuck prangt die Treppe, die Diele ist 'so blanck as Glas'. Gläser, Kannen, Salzfässer aus edlem Metall bedecken die Tische, die 'mit Sülver äversprüt' erscheinen. Servietten gibt es nur für die Herren, nicht für die Jungfern. […] Nach der Zeremonie folgt Tanz und Trunk und die Mahlzeit. Manch fröhliches 'Vivat' gilt dem neuen Paare, manches Glas wird auf ihre Gesundheit geleert. Nach der Mahlzeit wird wieder getanzt. Im langen Zuge durchschreiten die Paare zum Klange der Musik die Räume. Drei Tänze aber sind im Zeremoniell vorgeschieben, das mit strenger Beobachtung des Verwandtschaftsgrades genau bestimmt, welcher von den Verwandten der Braut sie schon beim ersten Tanz führen darf, wer von des Bräutigams Seite beim zweiten und wer schließlich den dritten Tanz mit ihr tanzt. Die Hochzeitsgedichte werden verteilt, ernsthafte und scherzhafte. Ist der Bräutigam ein Gelehrter, so fehlen auch die fremdsprachlichen Grüße nicht. Oft hat einer der gekrönten Poeten der Zeit seine Muse in den Dienst der Hochzeit gestellt. Rist, Rachel, Zesen, Greflinger, Schupp, Buchner, Tscherning u. v. andere sind in der Hamburger Sammlung vertreten. […] Allmählich muß der Bräutigam die sich sträubende Braut davon überzeugen, wie müde sie sind, wie lang die Zeit ihm wird, wie gut es wäre, jetzt bald schlafen zu gehen. Die Braut hält zurück. Die verwandten Frauen reden ihr zu und führen endlich die zögernde Braut ins Brautgemach. Am andern Tage setzt man dann der jungen Frau die 'Hülle' als Zeichen ihrer neuen Würde auf."

(1) Namentlich ein Scherzgedicht zur Hochzeit des gelehrten Hamburger Syndikus Dr. Lukas Langermann mit Cäcilia Rumpff im Jahre 1656 gibt eine sehr ausführliche Darstellung der Vorbereitungen und des Hochzeitsfestes. Wir beschränken uns hier auf die Schilderungen in den Gedichten. Aus den Hochzeitsforderungen der Zeit (z. B. 1609 Zschr. d. V. f. hamb. Gesch. 1) lassen diese dichterischen Darstellungen sich leicht nach der anderen Seite ergänzen.

Aus: Sprache und Zeitgeschichte. – In: Ostland. Vom geistigen Leben der Auslanddeutschen 3 (1928), S. 204–208, hier: S. 204f.:

"Sprache ist Geschichte; Sprache bedeutet Geschichte. Den Volksangehörigen in Siedlungs- und Grenzgebieten ist dies aus eigenem Erleben stets selbstverständlich gewesen. Wer auf vorgeschobenem Posten, wer neben oder unter anderssprachigen Völkerschaften lebt, ihnen gegenüber an seiner ererbten Sprache festhält, auch gegen Widerstand festhält, fühlt die historische Verantwortung, die seine Sprache ihm auferlegt, und er wird da, wo andere Laute neben ihm erklingen, selbst leicht dazu geführt, nach den Brüdern zu fragen, mit denen ihn gleiche Sprache verbindet, von seiner Sprache aus seine Herkunft, seine Geschichte zu erforschen.

Anders im geschlossenen Sprachgebiet, wo die Sprache als etwas Selbstverständliches hingenommen wird. Im inneren Deutschland ist man 'allgmeiner' [im Original gesperrt, d. Verf.] wohl erst durch die Folgen des Weltkrieges auf die Bedeutsamkeit der Sprache, auf das starke Band, das die Sprachgemeinschaft webt, aufmerksam geworden, auf die politischen und damit rückblickend die geschichtlichen Wirkungen und Bindungen, die Sprachgemeinschaft hervorbringt: Neben dem gemeinsamen Erleben in der Volksgenossenschaft steht die Sprache als festeste Kette. Beachtung der Sprache kann heute nicht mehr nur die zünftigen Philologen berühren, sie geht alle an, die nach Kultur, Geschichte, Vorzeit ihres Volkstums fragen.

[…] Ist es die Mundart, die von diesem Standpunkt aus Pflege und Beachtung verdient? Ist es die Schriftsprache, deren Ausbreitung auf bisher der Mundart noch überlassenen Gebieten danach energisch gefördert werden sollte? Beide sind in gleichem Maße wichtig, je nach Lage der Dinge bald die eine, bald die andere oder beide zusammen wirkend. Deutsche Kultur, das, was die besten Deutschen uns geben können, klingt zu uns in der schriftgemäßen Form; sie überbrückt alle Schwierigkeiten des Verständnisses, die die verschiedenen Mundarten sich gegenseitig bieten würden. Die Schriftsprache, und nur sie, hat das Werkzeug geschaffen, den Wortschatz und den geschmeidigen Satzbau, die Ausdrucksmöglichkeit für die höheren Begriffe. Sie ist das einende Band zwischen dem Norden und dem Süden des Reiches, die sich dialektisch nicht verstehen würden. Sie trägt das deutsche Geistesleben und vermittelt es allen deutschsprechenden Gruppen: Wie verschieden ihre mundartliche Form sein mag, sie ermöglicht ihnen allen, daran teilzunehmen. Bis ins 16. Jahrhundert hinein herrschten hier in der Literatur-, wie der Briefsprache zwei verschiedene deutsche Formen; den hochdeutschen Schriftdialekten stand die mittelniederdeutsche Schriftsprache gegenüber, die für die niederdeutschen Gebiete namentlich aus den Bedürfnissen gemeinsamer Verkehrs- und Handelsverhältnisse früh zu einer gewissen Einheit gekommen war und als Sprache der Hanse, des mächtigen Handelsbundes der norddeutschen Städte, im Ostseegebiet weit über die deutschen Grenzen hinaus verstanden wurde. Daß dann im 16. Jahrhundert das Hochdeutsche, die neuhochdeutsche Schriftsprache auch das niederdeutsche Gebiet gewinnen konnte, ist für die deutsche Geschichte von der allerhöchsten Bedeutung gewesen. Der sprachliche Ausgleich – gleichviel ob auf beiden Seiten in der Umgangssprache die Mundarten weiter lebten – war die unerläßliche Vorbedingung des einheitlichen Zusammengehens, Vorbedingung des Zusammenschlusses von Nord und Süd.

Dagegen wird in anderen Fällen der sprachliche Zusammenhang auf dem Wege über die Mundart gefühlt, wird die sprachliche Mission erfüllt durch die Form, die man als Muttersprache festhält. Abgewanderte Teile, isolierte Teile im fremden Sprachgebiet bewahren in der Mundart das deutsche Sprachgut, auch neben der Schriftsprache des neuen Wirtsvolks, pflanzen in der Mundart die Zusammengehörigkeit fort, behalten so ihren Anteil am Deutschtum, das sie dann weiter zu den gemeinsamen deutschen Kulturgütern, die in schriftsprachlicher Form niedergelegt sind, führt. […]

Sprache ist mehr als das äußerliche Verständigungsmittel; gemeinsame Sprache bedeutet gemeinsame Kulturerlebnisse, Gefühl der geistigen Zusammengehörigkeit, sie spiegelt noch für späte Geschlechter die wirtschaftliche wie die geistige Einstellung einer Zeit, z. B.  in bestimmten sprachlichen Anlehnungen an ein oder das andere Gebiet, das die Vormacht hatte. […]"

W. L. Wardale [Ed.]: Albrecht von Borgunnien's Treatise on Medicine (Sloane Ms. 3002, British Museum). Published for St. Andrews University by Humphrey Milford, Oxford University Press 1936. [= St. Andrews Univers. Publication, No. XXXVIII.] – In: AfdA 56 (1937), S. 35–38. [Besprechung]

"[…] W. sieht noch nicht klar, ob das dem ersten Buch vorangestellte Kräuterbuch (Macer) dem Grundtext zugehörte oder erst einer jüngeren Stufe. M. E. kann aus mehreren Gründen nur das letzte der Fall sein. – Etwa ein Sechstel der Artikel findet sich, aus gemeinsamer Vorlage stammend, auch im Utrechter Arzneibuch in größerer oder geringerer Übereinstimmung, meist ausführlicher, aber in anderer Gruppierung, anscheinend auch im sog. Kleinen Arzneibuch im Anhang von zwei Handschriften der D. A. [i. e. Düdesche Arstedie, die Verf.], das bekanntlich dem Utrechter nahe steht. Wie weit das Wolfenbüttler Arzneibuch vergleichbar ist, mit dem der Artikel 'Beifuß' zusammengeht, ist nach den wenigen bisher veröffentlichten Auszügen aus demselben nicht zu beurteilen. Auch sonst lassen sich in den Macer-Überlieferungen einzelne Parallelen finden, vgl. etwa zu Nr. 31, 48 hd. Halberstädter Macerfragmente, Z. f. d. Phil. 12, 149. Von allen bekannten Macer unterscheidet sich aber A [die abgedruckte Handschrift A aus dem British Museum, d. Verf.] als Ganzes schon durch Anordnung und Zahl der Artikel (129!) durchaus. Daß diese alphabetische Anordnung schon nd. Form voraussetzt, zeigt die Einstellung von engefer 'Ingwer' unter E.

Dem Text ist die knappe auf engen Fragenkreis und kurze Beantwortung be- schränkte Einleitung vorangestellt, die die erwähnten Punkte berührt, im Hauptteil den Aufbau von A und das Verhältnis zu D. A. von Buch zu Buch, stellenweise von Artikel zu Artikel vergleichend verfolgt, dabei wohl auch Beziehungen zu naheste- henden Arzneibüchern berücksichtigt, zum Bartholomäus (den W. nach einer Londoner Handschrift des 15. Jhs. zitiert), dem Bremer, Utrechter, Kleinen Arznei- buch. Diese Andeutungen können noch stark vertieft und gesichert werden, wenn die Beobachtungen genauer und mit dem Blick auf das wirklich Charakteristische durchgeführt, die Fragen in weiter ausgreifendem Umblick erfaßt werden. Auch die vergleichenden Gegenüberstellungen von Textstellen, Formen, Wortgebrauch in A und D. A.., mit denen W. seine Angaben stützt und beleuchtet, befriedigen nicht immer: sie sind im ganzen zu schematisch zusammengestellt, die Auswahl ist vielfach zu unwesentlich, zu zufällig, um überzeugen zu können, und sie betonen in dieser Hervorhebung Einzelheiten, die man im Zusammenhang anders bewerten würde. Von der vergleichenden Zergliederung gelangt die Einleitung noch wenig zu der wirklich aufbauenden Arbeit, die gerade der philologische Herausgeber mit philologischer Methode diesen medizinischen Texten leisten könnte; denn mit voller Heranziehung der heute schon zur Verfügung stehenden hd. und nd. Texte läßt sich von A aus über A und die verwandten Arzneibücher und ihr Verhältnis doch mehr gewinnen, als die Einleitung gibt, die aber wohl im Plan der Ausgabe zu Kürze verpflichtet und auf die die allernächsten Fragen beschränkt war. Bei der Wichtigkeit der neuen Handschrift für die Textgeschichte der nd. medizinischen Traktate darf man hoffen, daß der Herausgeber, dessen Studien weiterhin den Arzneibüchern zugewandt sind, von den neuen Gesichtspunkten aus, die sie gibt, auch noch die weitere Bearbeitung des Fragenkreises, den sie aufwirft, in Angriff nimmt.

    Berlin-Schmargendorf.                                       AGATHE LASCH."

Sammelstelle für das Hamburgische Wörterbuch. Dritter Fragebogen. – In: Niedersachsen 23 (1917) 5 vom 1. Dezember 1917.

"Die Sammelstelle für das Hamburgische Wörterbuch wendet sich von neuem an alle, die den Sammlungen bisher ein freundliches Interesse gezeigt haben, mit der Bitte um weitere Einsendungen. Wir ersuchen diesmal um die Angabe von Ausdrücken, die sich auf die Kleidung beziehen, Männer-, Frauen-, Kinderkleidung, besonders auch Berufskleidung, und zwar bitten wir um die Bezeichnungen für alle Teile der Kleidung, der Oberkleidung wie der Unterkleidung, z. B. für den Anzug und seine Teile, Ärmel, Kragen, Schürze usw., Überzieher, Mantel, für Hut, Mütze, Arbeitsmütze. Auch die scherzhaften Ausdrücke, die hierfür bekannt sind, bitten wir anzugeben. Ferner die Benennungen der Stoffarten, aus denen die Kleidung gemacht ist.

Welche plattdeutschen Wörter hat man für: sich anziehen, sich putzen, sich zu sehr aufputzen; ein Kleid sitzt oder sitzt nicht gut, steht gut oder schlecht?

Wie benennt man zerrissene, unordentliche Kleidung?

Welche Ausdrücke sind in der  S c h n e i d e r e i  üblich für das Schneidern wie für die hierzu gebrauchten Werkzeuge, Nadel, Nadelbüchse, Fingerhut, Schere, Garn usw.?

Endlich ersuchen wir noch um die Aufzeichnungen von Redensarten, Sprichwörtern und dergleichen, die sich mit der Kleidung, der sauberen oder unsauberen, der ordentlichen oder unordentlichen, befassen.

Bei Angabe von Kleidungsstücken der Berufskleidung ist auch der Beruf, in dem dieselbe getragen wird, zu nennen.

Wir bitten bei den Einsendungen ungefähr anzugeben, wann die betreffenden Wörter gebraucht sind, ob sie noch üblich sind.

Zuschriften bitte zu richten an die Sammelstelle für das Hamburgische Wörterbuch, Deutsches Seminar, Hamburg, Rothenbaumchaussee 26.